Ein Beitrag von Rainer Götz
Der Kontrast zur parallel laufenden HiFiDeluxe (siehe Messebericht) könnte nicht größer sein. Einerseits eine für den Besucher äußerst entspannte Hotelshow mit zum größten Teil sich ebenso relaxed gebenden Ausstellern und andererseits die „Mutter der Highendmessen“, die sich immer mehr zur B2B-Messe (Business to Business) wandelt.
Die diesjährige High End verzeichnete wieder ein Plus bei der Zahl der Messebesucher, der Fachbesucher, der Aussteller und der Ausstellungsfläche. Die High End Society kann also guten Gewissens eine positive Bilanz der Messe 2017 ziehen.
Außer den „üblichen Verdächtigen“ (B&W, Accuphase, Linn) waren die meisten Anbieter von Relevanz in München entweder mit einer Präsentation im Atrium oder einem Stand in den Messehallen vertreten. Hier – völlig subjektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – meine persönlichen Eindrücke von der High End 2017, aus naheliegenden Gründen auf das Vertriebsprogramm von Oliver Wittmann beschränkt.
Am Freitag um 10:00 Uhr begann für „die beste aller Ehefrauen“ und mich der Rundgang mit einer eindrucksvollen Vorführung des AMT Viella 12 T Plattenspieler. Als besonderes „Schmankerl“ lief im Tonarm das brandneue DS Audio DS 002, ein Tonabnehmer nach dem photooptischen Prinzip, der anders als MC-, MM- oder MI-Systeme komplett ohne Spulen und Magnet auskommt. Somit reduziert sich bei einem DS Audio-System die bewegte Masse auf ein unbedeutendes Maß.
In Fachzeitschriften wurde viel und euphorisch über die Top-Systeme Master 1 und DS-W1 berichtet, die nach diesem Prinzip arbeiten. Das neue DS 002 rückt nun erstmals preislich in Regionen, die für viele Audiophile interessant und realisierbar werden, zumal die Phonovorstufe im Lieferumfang enthalten ist. Ich denke, der Vinylspezialist Oliver Wittmann wird diese Kombination noch entsprechend vorstellen. Was in München zu hören war, klang in jedem Fall äußerst vielversprechend.
Ebenfalls neu im Programm bei Oliver Wittmann sind die beiden Einsteiger-Plattenspieler von MoFi (MFSL), ja genau, die mit den Halfspeed-Platten. Beim Music Day im April lief schon mit großem Erfolg das MoFi StudioDeck (Link Music Day), das in München zusammen mit seinem „großen Bruder“, dem MoFi UltraDeck, vorgestellt wurde. Sehr interessant und eine echte Alternative im Marktsegment „Brettchenspieler“.
Verity Audio stellte auf der High End die neue Othello vor. Ein kleiner Zweiwege-Monitor im gewohnt wertigen Outfit der Kanadier. Klang, angetrieben von Audio Flight, wieder mal richtig gut bei Jan Sieveking.
Bei Avantgarde Acoustic legte man sich richtig ins Zeug. Der israelische Schlagzeuger Oded Kafri spielte live auf dem Stand und man konnte direkte Vergleiche zur Wiedergabe über die ausgestellten Trio XD mit dreifachem Basshorn ziehen. Leider wurde die Standdecke im Atrium durch die Lautstärke so heftig angeregt, dass diese unvorteilhaft mitschwang.
Wer sich über die wahren Qualitäten von Avantgarde Acoustic – auch und gerade bei wohnzimmertauglichen oder noch geringeren Lautstärken ein Bild machen will – sei an die Vorführungen im Hause Wittmann verwiesen. Im Terminstudio in Isny steht eine optimal aufgestellte und justierte formidable Trio XD mit Basshorn und zeigt die wahren Qualitäten dieses Ausnahmelautsprechers.
Überraschung bei Octave Audio. Andreas Hofmann stellte erstmals einen Single-Ended-Verstärker vor. Der V16SE kann sowohl als hochwertiger Kopfhörerverstärker wie auch zum Betrieb von entsprechend effektiven Lautsprechern eingesetzt werden. Ein Zusammenspiel mit den Hornlautsprechern von Avantgarde Acoustic oder den Breitbändern von Joachim Gerhard (Suesskindaudio) drängt sich geradezu auf. Demnächst sicher mehr in Stuttgart-Botnang oder Isny … bin schon gespannt.
T+A zeigte die bewährten Geräte, wobei die HV-Serie jetzt auf Sonderwunsch in so ziemlich jeder Farbkombination geliefert werden kann. Endstufe in Ferrari-Rot mit schwarzen Kühlrippen – kein Problem. Customising ist angesagt. Als Neuheiten entdeckte ich den Multiplayer/SACD/CD-Spieler MP 2500 R, der auch optisch gut zum Vollverstärker PA 2500 R passt. Ansonsten glänzt die Hochvoltserie weltweit und wird von der Fachkritik mit Lob überschüttet. Auch in Amerika, wo der Markt für deutsche Anbieter derzeit nicht problemlos ist.
Bei Focal wurden zwei neue Lautsprecher der Utopia-Serie vorgestellt. Besonders interessant die Scala Utopia Evo (um die 32.000 Euro/Paar). Noch mehr Richtung absolute Topklasse orientiert ist die Maestro Utopia Evo (um die 56.000 Euro/Paar). Focal verspricht für beide 3-Wege-Lautsprecher nochmals verbesserte Frequenzweichen, weiterentwickelte hauseigene Mitteltöner mit patentierter Sicke und dem wohl besten Hochtöner, den Focal bislang produziert. Wir werden hören …
Naim Audio zeigte die neue Unity-Serie, die nach der High End endlich auch in Deutschland lieferbar sein wird.
Kurz reingehört und für gut befunden: Marten Coltrane Tenor 2. Wirkt mit seinen 114 cm Höhe und der nach hinten gezogenen Schallwand erstaunlich elegant. Ja, Design haben die Schweden eben drauf. In diesem Fall Klang auch.
Bei Lindemann wurde nicht nur digital und sehr überzeugend mit TIDAL gestreamt. Norbert Lindemann stellte auf der High End erstmals eine neue Network-Audio-Bridge vor, die er auf kompromisslose Klangqualität getrimmt hat. Auch Vinylfreunde kamen über „Der Plattenspieler“ von Wilibald Bauer und einem erstaunlich lebendig und frisch aufspielenden Rega Planar 3 mit MM-System auf ihre Kosten. Lautsprecher übrigens von Joachim Gerhard. Einer der Räume, die richtig Spaß gemacht haben.
In einer der Messehallen stellte Franz Kuzma seine Laufwerke und Tonarme vor. Feinmechanik at its best.
Den besten Espresso der Messe gab es übrigens bei Bryston aus Kanada. Deren Deutschland- und Österreich-Vertrieb brachte einen Barista mit, der einen ganz vorzüglichen Espresso braute. Dies sollte hier zumindest Erwähnung finden. Auch der Hinweis, welche Aufnahmen „unter Androhung von Strafe“ bei den Vorführungen tabu sind, finde ich witzig (siehe Foto).
Eine der besten Vorführungen der Messe war bei Harbeth zu hören. Elektronik von Magnum Dynalab aus Kanada und der CD-Spieler von Creek aus England. Highlight: Der Garrard 501 von Loricraft mit Origin-Live-Tonarm. Das ganz besondere war aber die Präsentation durch Martina Schöner. Die Frau lebt und liebt die Musik, die sie spielt. Nix „HiFi-Geraschel“, kein Bassist, der 15 Minuten über ein gestrichenes C nachdenkt und improvisiert. Dafür jede Menge Emotion. Ich hätte mir auf der Messe mehr solche Demos gewünscht.
Nagra aus der Schweiz hatte die großen Wilson Audio in diesem Jahr besser im Griff als 2016. Klang göttlich. Preis: Wenn sie so fragen, können sie es sich nicht leisten ... Erfreulicherweise hat Nagra aber seit der CES 2016 eine günstigere Alternative im Programm: die Classic-Serie!
Jetzt wird es archaisch. Schwermetall aus England. Chord Verstärker, CD-Laufwerk und DA-Wandler und Fischer & Fischer Lautsprecher aus Schiefer. Klanglich recht vielversprechend. Leider war die Vorführung zu unruhig, weil an einem Besprechungstisch intensiv gefeilscht wurde. Business geht eben vor. Potential ist da: Beim Music Day im November lief einer der kleineren Fischer & Fischer Standlautsprecher mit Erfolg.
Nach dem „Überflieger-Test“ in der Mai-Ausgabe von STEREO spielte bei Brinkmann Audio der neue (auch MQA-fähige) Streamer/DA-Wandler Nyquist (ausführliche Beschreibung) in einer klassischen, analogen Brinkmann-Kette, bestehend aus Vorverstärker Marconi, Phonovorstufe Edison, Endstufen Mono und Balance Plattenlaufwerk. Lautsprecher kamen – wie immer in den letzten Jahren – von Vandersteen aus den USA. Alles gut abgestimmt und sehr musikalisch.
Bei Lautsprecher-Guru Karl-Heinz Fink gab es eine komplette Octave-Audio-Kette, die mit Leichtigkeit die neueste Kreation von Fink-Audio antrieb. Wenn ich es richtig verstanden habe, lief in München einer der letzten Prototypen vor der Serienreife. WM3 soll das Teil heißen. Wobei WM (der Fink’sche Humor blitzt hier wieder auf) „Waschmaschine“ heißt. Wohl eine Verneigung vor dem B&W 801 Monitor. Wird wohl so um die 40.000 Euro kosten. In jedem Fall lief die „Waschmaschine“ an Octave Audio HP 700 und den Endstufen MRE 220 mit Black Box Unterstützung zu Hochform auf. Da kam nichts ins Schleudern …
Plattenspieler waren – wie schon in den Vorjahren – neben Streaming und Co. das Hauptthema der High End 2017. Input Audio stellte einen Prototypen „The Wand“ vor. Für rund 1.800,- Euro soll er bis Ende des Jahres finalisiert und lieferbar sein. Seine Besonderheit: Das Teil steht auf Federn, ähnlich einem Sub-Chassis. Vielversprechend.
Weiter mit Plattenspielern und einem Neuzugang im Portfolio von Oliver Wittmann: Clearaudio. Die Franken bieten eine Vielzahl von Laufwerken, Tonarmen, Systemen, Vorverstärkern und Plattenwaschmaschinen. Alles auf höchstem Niveau. Klanglich und Verarbeitungstechnisch. In München zeigte der Erlanger Hersteller sein Gesamtprogramm, darunter einige gelungene Plattenspieler-, Tonarm-, Rack-Kombinationen. Man merkt die Liebe zum Detail, fränkische Wertarbeit, und natürlich zur Musik.
Zum Abschluss des Messrundgangs noch ein Abstecher zu Falcon Acoustics und der Neuauflage des BBC-Klassikers LS 3/5a. Beim Music Day im April hat dieser Lautsprecher ja im vollen Bewusstsein seiner Limitierungen begeistert. Klar fehlte „unten herum was“, aber es störte keinen. Wir erlagen alle dem Mittelton-Charme dieses Klassikers. Aus dem gleichen Hause werden weitere Monitor-Klassiker nach BBC-Spezifikationen angekündigt. Sogar die runde JR 149 von Jim Rodgers, die er nach dem Verkauf seiner Lautsprecherfirma entwickelt hat, könnte ein Revival erleben.
Wenn ich ein Fazit ziehen soll: Gelungene Veranstaltung, jede Menge Eindrücke, eigentlich viel zu viele, um diese an einem oder zwei Tagen verarbeiten zu können. Trotz des Trends zu einer B2B-Messe, wie von Kai Brockmann in seinem Mai-Editorial für FIDELITY befürchtet, gibt es für Endverbraucher keine bessere Gelegenheit, sich binnen zwei oder drei Tagen einen Marktüberblick zu verschaffen und Trends zu erkennen und aufzunehmen. Erfreulich: Es gibt wieder junge Leute oder gestandene Männer im besten Alter, die sich für HiFi und Highend interessieren und engagieren. Wir „Silberrücken“ sind nicht mehr alleine! Und das ist auch gut so.
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